Gestern schob ich meinen Sohn im Buggy durch die Stadt. Es war heiß, daher trug ich einen kurzen Rock, irgendein T-Shirt und Flip Flops. Als wir an einer Gruppe junger Männer vorbei gingen, schaute einer mir hinterher und wisperte seinem Kumpel etwas zu. Dieser wiederum sagte viel zu laut: "Krass, Alter! Ich wusste gar nicht, dass du auf MILFs stehst."
MILF. Ich? Tja, da musste ich erst mal überlegen. Seit jeher kann ich diesen Begriff emotional nicht so richtig einordnen. Klar, ich weiß, dass MILF ´ne beliebte Kategorie bei YouPorn ist. Das hat mir mal jemand erzählt. Und ich weiß auch, dass ich ganz persönlich ältere Frauen durchaus hot bis extra-hot finde. Aber ist es deshalb als Kompliment zu betrachten, wenn ein paar Halbstarke mir "MILF" auf der Straße hinterherrufen? Ich war mir nicht sicher.
Wenn ich in den Spiegel sehe, sehe ich an schlechten Tagen das Gesicht einer Frau Mitte 40 (und glücklicherweise auch den Beach-Body einer 29-Jährigen – die Bondolino-Schlepperei zahlt sich aus). In meinem Ausweis steht, dass ich 36 sein soll. Seit circa fünf Jahren habe ich nicht mehr richtig durchgeschlafen, meine Kids haben mir die ein oder andere Sorgenfalte beschert und die Zeitfenster für Frisörbesuche und Co. sind klein geworden. Und das sieht man!
Dabei scheint die Zeit, in der ich jung, knackig und vor allem kinderlos war, noch gar nicht so lange her: Bevor ich beschloss, Mutter sein zu wollen, lebte ich gemeinsam mit drei anderen Mädels einige Jahre in einer Lesben-WG (einer WGay, wie wir sie liebevoll nannten). Damals war mein Leben ein anderes. Wir waren total viel unterwegs – besonders auf Lesarion. Ständig saßen am Frühstückstisch irgendwelche fremden Frauen, die ein T-Shirt einer Mitbewohnerin trugen und vor Szene-Partys trafen sich immer unzählige Girls in unserer Wohnung zum Vorglühen. Ein Wirrwarr an lesbischer Energie – vom morgendlichen Zähneputzen bis zum Gute-Nacht-Knutscher.
Wir lebten ungesund, unmoralisch und manchmal auch ganz schön niveaulos. Ich liebte es!
Heute püriere ich Gemüse, um es in umweltfreundliche Quetschbeutel zu füllen, schrubbe winzige Kinderzähne blitzeblank und schneide die Fußnägel meines Sohnes, während er schläft. Nicht besonders sexy, oder?
Unsere WG hat sich irgendwann aufgelöst. Nikki und ich wollten das Zusammenleben zu zweit testen und auch die Anderen hatten Lust auf ihr eigenes Reich. Wenn ich Fotos aus dieser Zeit sehe, könnte ich mir vor Lachen in die Hose machen. Das Lebensgefühl von damals ist einfach einzigartig und ich finde es schön, dass ich durch Erinnerungen einen kleinen Funken davon in mein heutiges Leben zwischen Ausmalbildern und Windeleimer transportieren kann. Doch würde ich tauschen wollen? Niemals! Auch wenn das Familienleben nicht nur schöne Spuren hinterlässt, ist es doch das Allerschönste, was ich mir vorstellen kann. Diese beiden kleinen Menschen ein wichtiges Stück in ihrem Leben begleiten zu dürfen und ein Teil davon zu sein, ist für mich das größte Privileg, das ich mir vorstellen kann. Natürlich würde ich gerne ein, zwei Augenringe gegen ein, zwei straffere Brüste eintauschen, aber das geht eben nicht. Und das ist okay. Sonst wäre ich wahrscheinlich auch gar keine echte MILF.
* Für die Braven unter euch: MILF steht für "Mom I´d like to fuck".
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