Sommer 2017. In einer Talk-Runde stellte ein 28-Jähriger Angela Merkel die Frage, wann er wohl endlich seinen Freund heiraten dürfte. Frau Merkel – offensichtlich eiskalt erwischt – geriet ins Stottern und sagte, dass diese Diskussion als sogenannte Gewissensentscheidung zu betrachten wäre.
BÄM!
Was Frau Merkel da wahrscheinlich versehentlich heraus gerutscht war, weckte plötzlich alle Befürworter der "Ehe für alle" auf, die seit Jahren und Jahrzehnten auf genau diesen Versprecher (War es einer? Oder Kalkül vor der Wahl? Egal.) gewartet hatten. Und plötzlich ging alles ganz schnell: Innerhalb einer Woche (in der ich vor Aufregung kaum schlafen oder vernünftig aufs Klo gehen konnte) wurde die Abstimmung bewirkt, die alles veränderte. Ich weiss noch, dass wir via WhatsApp-Live-Ticker ein befreundetes Pärchen von uns über die Abstimmung auf dem Laufenden hielten. Die Armen saßen zu diesem Zeitpunkt beim Steuerberater und lugten heimlich unterm Tisch nervös aufs Handy, um nichts zu verpassen. Wie bei einem Top-Fußballspiel. Nur mit Politikern.
Kurz vor Schluss quengelte mein kleiner Sohn so sehr, dass ich ihn in den Bondolino schnallte und ihn trug bis er eingeschlafen war. Als ich aus dem Kinderzimmer zurück kam, weinte meine Frau. Aber gleichzeitig lachte sie. "Es ist vorbei!" – Wir umarmten uns, weinten noch mehr, tanzten, jubelten, feierten, klebten eine Regenbogenfahne an unsere Haustür, hängten eine Just-Married-Girlande darüber, tanzten weiter, schickten Regenbögen an alle WhatsApp-Kontakte (ja, auch an die, die es nicht interessierte) und waren einfach nur glücklich. Unsere Freundinnen kamen nach ihrem Termin vom Steuerberater direkt zu uns und wir betranken uns ungeniert. Ich weiß, es war vormittags, aber es war eben ein besonderer Vormittag!
In den folgenden Tagen wurde ich häufig gefragt, was sich für Nikki und mich nun rein rechtlich ändern würde. "Nichts", gab ich zur Antwort. Warum ich dann so ausraste vor Freude? "Weil es gerecht ist. Endlich."
Da unsere Familienplanung bereits abgeschlossen war, gab es für uns persönlich tatsächlich keine unmittelbaren rechtlichen Veränderungen. Aber das Gefühl, dass unsere Liebe nun endlich gleichgestellt war, ist einfach unbeschreiblich.
Heterosexuellen war der Unterschied zwischen einer blöden eingetragenen Lebenspartnerschaft und der Premiumversion Ehe oft gar nicht klar. Es sei doch alles das Gleiche, hörte ich oft. Nope, leider nicht.
Nikki und ich haben dreimal geheiratet, wobei man "geheiratet" zweimal in Anführungszeichen setzen müsste: Es gab eine ELP (eingetragene Lebenspartnerschaft), eine Traumhochzeit und dann noch die richtige Hochzeit in Jogging-Hose.
Ich plauder mal ein bisschen aus dem Nähkästchen.
August 2013. Auf den Karten stand "Einladung zur Hochzeit von Madita und Nikki". War gelogen. Eigentlich hätte dort stehen müssen "Einladung zur Eintragung der gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft von Madita und Nikki". Das passte aber nicht drauf.
Vor der Geburt unserer Tochter wollten wir unbedingt ELPen (mir ist bewusst, dass das kein echtes Verb ist, aber es gibt nunmal keins dafür), damit der Adoption nichts im Wege stand. Ich war im siebten Monat schwanger. Es war an diesem Tag 32 Grad heiß. Ich schwitzte. Vor Hitze, vor Aufregung, vor Schwangerschaft. In weißen Kleidern wollten wir nicht ELPen. Auch wenn wir uns unserer Liebe sicher waren und natürlich den Rest unseres Lebens miteinander verbringen wollten, fühlte sich die ELP zweitklassig an. Wie ein Trostpreis. Brautkleidern nicht würdig. Auch unsere Standesbeamtin, die wirklich gut war, betonte mehrfach, dass sie uns zwar die Ehe gönnen würde, dies aber eben doch nur eine eingetragene Lebenspartnerschaft sei. Und so fühlte es sich auch an. Ein bisschen ist die ELP wie mein vollgeschwitztes Schwangerschaftskleid an diesem Tag war: echt schön, aber doch ein bisschen muffig.
"Irgendwann, wenn wir alt und dick sind, kommt bestimmt die 'Ehe für alle' und dann quetschen wir unsere Senioren-Körper in schicke Brautkleider und feiern noch mal richtig Hochzeit. Mit Lollies, Konfetti, Einhörnern und hübschen Tänzerinnen", versprachen wir uns damals.
Nun, so lange mussten wir dann doch nicht warten.
Wieder ein Zeitsprung zurück. Sommer 2017 nach der Abstimmung zur "Ehe für alle". Unsere Freundinnen haben betrunken unsere Wohnung verlassen. Das war er also, der Moment, auf den wir lange gewartet hatten. Das Gesetz zur "Ehe für alle" wird kommen. In Deutschland! Trotz CDU. Wahnsinn. Ich nahm mein Handy raus und verfasste ein Facebook-Posting: Zwei Brautkleider in Größe 36 gesucht!
Dann schickten wir eine Save-the-Date-Nachricht für unsere Hochzeit raus. Denn für uns war klar: Jetzt wollen wir richtig heiraten. Mit dem Gefühl der Erstklassigkeit.
Schon wenige Wochen später feierten wir unsere Traumhochzeit mit unseren Freunden und der Familie. Wir hatten beschlossen, unsere Freude über die "Ehe für alle" nicht von der trägen Bürokratie abhängig zu machen und heirateten ohne Papiere und Standesbeamte. Ein guter Freund traute uns, ein Nachbar machte wunderbare Live-Musik und ich improvisierte eine etwas wirre Rede über Liebe, Familie und Gerechtigkeit. Bisschen wie Robin Hood im Brautkleid. Apropos Brautkleid: Über Facebook haben sich so viele Frauen gemeldet, die uns ihre Kleider leihen wollten. Wir konnten uns kaum entscheiden. Dass so viele unsere Freude teilten und uns unterstützen wollten, rührte mich sehr.
Die Hochzeit war voller kleiner Katastrophen (zum Glück ist meiner Oma nichts Ernstes passiert, als die Bank unter ihr zusammenbrach) und voller Liebe, Glück und Freude. Richtig liebenswert unperfekt – passte gut zu uns!
Unsere dreieinhalbjährige Tochter wollte eigentlich Blumen-Mädchen sein. Als es dann losging, musste sie aber leider dringend mit ihren unsichtbaren Katzen Gassi gehen. Da muss man Prioritäten setzen.
Unser Sohn war elf Monate alt und erfreute sich an dem ganzen Trubel und seiner Baby-Krawatte.
Dass die Kinder bei unserer "Herz-Hochzeit" dabei sein konnten, macht den Tag noch wertvoller. Ich hoffe, dass wir später einmal lachend mit ihnen über den Hochzeitsbildern sitzen und einfach nicht glauben können, dass es mal eine Zeit gab, in der zwei Frauen nicht heiraten durften.
Nach der ELP und unserer Hochzeit in weiß folgte im Herbst dann die RICHTIGE Eheschließung. Mit Verspätung hatte endlich auch unser Standesamt die nötigen Unterlagen für die "Ehe für alle" erhalten. Telefonisch buchte ich bei der Standesbeamtin das No-Romantic-Package. Wir wollten einfach nur unsere Eheurkunde abholen und dann mit den Kindern gemütlich Eis essen gehen. Problem: Die Frau vom Telefon war bei unserem Termin krank. Erst warteten wir fast eine Stunde mit einem zahnenden Einjährigen und seiner mies gelaunten Schwester auf dem Gang, dann wollte der Vertretungs-Standesbeamte uns am liebsten noch einmal richtig trauen, sogar mit uns in den Trausaal gehen. Wir hielten unsere Garderobe bestehend aus Schlabber-Pulli mit Keks-Matsch-Flecken und Jogginghose (in Duisburg darf man so auf die Straße) dann aber doch für zu leger. So hielt er unsere dritte Trauung in seinem Büro zwischen Aktenordnern und Tipp-Ex ab. Ich meckerte etwas vor mich hin – schließlich wollte ich doch längst in der Eisdiele sitzen. Aber Nikki weinte schon wieder. Zu Recht! Nun war es offiziell: Nach fast zehn Jahren Beziehung und mit zwei Kindern im Schlepptau durften wir endlich heiraten. So richtig. Mit Stempel und Stolz und Jogging-Hose.
Einmal habe ich geträumt, dass ich auf einer Wanderung Frau Merkel getroffen hätte. Sie war mit ihrem Joachim bei einer Weinprobe gewesen und fand nun den Weg nicht mehr zurück. Wir liefen gemeinsam. "Angela, hast du eigentlich was gegen Homos?", fragte ich sie unterwegs. Frau Merkel lallte: "Nee, Quatsch! Das is nur eher so ´n Bauchgefühl." Ich nahm ein Käsebrot aus meinem Rucksack und reichte es ihr: "Hier, Angela. Gegen dein Bauchgefühl." Auf einer Lichtung sahen wir Alice Weidel stehen. Dann sind wir doch lieber umgekehrt.
Traumhochzeits-Fotos von der besten Nicole Tauschnik
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